Vorsteuerabzug für Leistungen von Ist-Versteuerern erst mit Zahlung
Die derzeitige Sichtweise der Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Entstehung des Vorsteuerabzugs (Abschn. 15.2 Abs. 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass [UStAe]) verstößt gegen Unionsrecht, soweit der Leistende Ist-Versteuerer ist. Nach dem Unionsrecht hat der Vorsteuerabzug bei ist-Versteuerern mit Zahlung zu erfolgen.
Mit Urteil vom 10.2.2022 (Rs. C-9/20) hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Vorlagefrage beschäftigt, ob bei Ist-Versteuerern das Recht auf Vor- steuerabzug mit der Ausführung der Lieferung oder Dienstleistung entsteht oder erst mit der Vereinnahmung des Entgelts.
In dem vom Finanzgericht (FG) Hamburg vorgelegten Fall zur Vorabentscheidung durch den EuGH hatte die Klägerin, eine Grundstücksgemeinschaft, ein Gewerbegrundstück vermietet, das sie ihrerseits gemietet hatte. Die Grundstücksgemeinschaft, wie auch ihre Vermieterin, optierten zur Umsatzsteuer. Beide Parteien berechneten die Steuer nicht wie üblich nach vereinbarten Entgelten, sondern durften nach Bewilligung durch die Steuerbehörde ihre Steuer gem. § 20 Umsatzsteuergesetz (UStG) mit der Methode der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Kassenbuchführung) berechnen.
Während des Mietverhältnisses kam es im Folgenden zu Stundungen zugunsten der Klägerin. Gestundete Mieten wurden von ihr erst Jahre später gezahlt. Die Klägerin zog die Vorsteuer erst in dem Voranmeldungszeitraum, in dem sie die Zahlung leistete. Das FG Hamburg hingegen sah hier die Entstehung des Rechts auf den Vorsteuerabzug bereits mit dem Bezug der Leistung in Form der monatlichen Überlassung des Grundstücks. Diese Jahre waren umsatzsteuerlich z. T. verjährt.
Die Grundstücksgemeinschaft sah hierbei einen Verstoß gegen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwSt- SystRL), weshalb sie beim FG Hamburg Klage einreichte. Sie vertrat die Auffassung, dass das Recht auf den Vorsteuerabzug bei Ist-Versteuerern dann entstehe, wenn das Entgelt entrichtet worden sei und die Umsatzsteuer entstanden sei. Die deutsche Regelung sieht jedoch vor, dass das Recht auf den Vorsteuerabzug bei Ist-Versteuerung stets mit dem Bezug der Lieferung oder Dienstleistung geltend zu machen ist. Diese Regelung hatte das FG Hamburg im vorliegenden Fall angewendet.
Das FG Hamburg legte die gegen die Umsatzsteuerbescheide gerichtete Klage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor – insbesondere mit der Frage, ob das deutsche Recht im Hinblick auf Art. 167 der MwSt- SystRL mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Zunächst stellt der EuGH fest, dass der Art. 167 der MwStSyst- RL dahin gehend eindeutig ist, als dass das Recht auf den Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entsteht. Aufgrund der Ist-Versteuerung der Vermieterin wäre dies im vorliegenden Fall der Zeitpunkt der Zahlung. Die MwStSystRL sieht insoweit eindeutig vor, dass das Recht auf den Vorsteuerabzug an die Entstehung des Steueranspruchs geknüpft ist, nicht jedoch an den Zeitpunkt der Ausführung der Leistung. Das Recht der Grundstücksgemeinschaft auf den Vorsteuerabzug ist somit zum Zeitpunkt der Vereinnahmung des Preises durch den Vermieter entstanden.
Nicht nur für Ist-Versteuerer ist das Urteil des EuGH von erheblicher praktischer Bedeutung, sondern für alle Steuerpflichtigen, die Leistungsempfänger einer Leistung von einem Ist-Versteuerer sind. Die Unionsrechtswidrigkeit der Regelung im deutschen Umsatzsteuerrecht hat zur Folge, dass der deutsche Gesetzgeber, um den unionsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, nachschärfen muss. In Zukunft wird bei Leistungen eines Ist-Versteuerers der Vorsteuerabzug erst bei Vereinnahmung des Preises möglich sein.